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Liebe Gemeinde,


die Passionszeit ist eine Zeit im Kirchenjahr, in der wir wie sonst kaum über das Leiden nachdenken. Davon gibt es ja genug. Wann immer Christen sich auf das Leiden Jesu besonnen haben, ist ihnen das Leiden der Menschen zu ihrer eigenen Zeit vor Augen gekommen. Vor allem die Formen des Leidens, die Menschen anderen Menschen zufügen. Darin ist der Weg zum Kreuz vielleicht die menschlichste Zeit im Leben Jesu geworden - im Weg durch die Menschenverachtung der Mitmenschen.

Ich möchte heute über diese Menschenverachtung mit Ihnen nachdenken, über das, was der Mensch mit dem Menschen tut. Worüber ich rede? Ich will es nur andeuten, denn Sie kennen alle die Bilder, hören alle die Schreie:

Ich rede über Folter und Mord, über Heckenschützen und Massenvergewaltigungen, ich rede über Mord und Totschlag und über die Entwürdigung des Nächsten.

„Der Mensch ist des Menschen Wolf“ sagten schon die alten Römer. Leider stimmt das nur zu oft. Und dass ich das beklage, und Sie und mich aufrufe, alles uns mögliche dagegen zu tun, das wird Sie nicht überraschen.

Aber - warum eigentlich? Das ist eine sehr ernstgemeinte Frage: Warum soll denn nicht das Recht des Stärkeren bestimmen, warum soll sich nicht der Kräftigste durchsetzen, was liegt uns denn an den Schwächeren, den Opfern? Was liegt uns daran, dass unsere Gesellschaft auf anderen Werten als Macht und Gewalt beruht?

Ich frage das, weil wir uns darüber im Klaren sein müssen, was unsere Motive sind. Nur, wenn wir wissen, warum wir andere Ideale verfolgen, halten wir auch ernsthafte Konflikte durch. Nur dann haben wir einen Kompass durch die rauen Stürme der Realität.

Denn: Gegen Folter und Mord zu sein ist leicht. Jedenfalls hier unter uns in der Theorie. Aber wie ist es mit Experimenten an Menschen? Wie steht es mit dem Züchten genetisch veränderter Menschen? Wie steht es mit der Versuchung, alle Behinderten schon im Mutterleib zu töten? Wo ist unser Kompass in diesen Fragen? Was macht denn für uns Christen die Würde des Menschen aus? Erst wenn ich das beantworten kann, habe ich Argumente in Zweifelsfragen.

Aber. Ist das denn nicht dasselbe, ob ich als Christ oder als einfach ethisch bewusst denkender Mensch über die Würde und die Rechte des Menschen rede? Sind Christen und Humanisten hier nicht im selben Boot?
In den Ergebnissen ist das zum Glück oft genug so. Das ist ja auch der Grund, das wir Christen nicht allein stehen im Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenrechte. Trotzdem wird jeder für sich das „warum“ beantworten müssen.

Fragen wir uns doch einmal in aller Härte: Warum haben Menschen das Recht zu leben und Nutztiere nicht? Wenn ich diese Frage beantworten kann, dann habe ich ein paar zusätzliche Antworten gleich mit gegeben: Etwa auf die Frage: Warum sind Menschenversuche im Interesse der Allgemeinheit nicht hinnehmbar? Warum sollen wir nicht genetisch den Menschen so verändern, dass er in Zukunft nur noch stark, schön, klug und arbeitswillig ist? Oder die Antwort auf die Frage: Warum sollen Menschen auch im Tod würdig behandelt werden und nicht meistbietend verkauft und ausgeschlachtet werden?


Die Bibel gibt uns die Antwort gleich zu Anfang, im 1. Buch Mose im 1. Kapitel:

Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.


Das ist der Grund der Menschenwürde, der Grund aller Menschenrechte. Wir sind Gottes Ebenbild, das soll bedeuten: Wer sich am Menschen vergreift, vergreift sich am Ebenbild Gottes. Wer den Menschen missachtet, missachtet Gottes Ebenbild. Darum kann niemand Gott achten und lieben und den Menschen zugleich mit Füßen treten. Dass wir als Kinder Gottes Gott achten und respektieren, ihn lieben und ihm dankbar sind für alles, was er uns geschenkt hat und schenkt, dass zwingt uns dazu, sein Ebenbild im Nächsten ebenso zu achten und zu respektieren.

Jesus hat das sehr deutlich gemacht im Gleichnis vom Weltgericht:

„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Mt. 25,40)

Es liegt nicht an den klugen Gedanken der Menschen, dass unsere Würde unantastbar ist. Es liegt an der Entscheidung Gottes, der uns Menschen ihm zum Ebenbild geschaffen hat, der selbst Mensch wurde in Jesus Christus und der selbst so alles erleidet, was Menschern einander zufügen.

Das gilt für jeden Menschen, die Behinderten selbstverständlich eingeschlossen. Wer glaubt, Behinderte seien so wenig wert zu leben, dass sie schon im Mutterleib zu töten seien, wer gar Müttern vorwirft, wenn sie dies „versäumt“ haben, der bezeichnet damit letztlich Gott selbst als nicht lebenswert.

Die gottgegebene Würde des Menschen gilt ganzheitlich. Körper, Geist und Seele werden von ihr umfasst. Darum gilt auch die Achtung vor dem Nächsten jedem dieser Bestandteile unserer Existenz. Die Achtung vor den sterblichen Überresten unserer Verstorbenen hat hier ihren Ursprung. Wer sich an den Toten vergreift, vergreift sich immer noch am Menschen. Darum gilt auch: Wer den Toten ihre Würde verweigert, drückt damit seine Haltung zu den Lebenden aus.

Darum ist es gegen Gottes Schöpfungsgebot, wenn wir Tote oder Teile der Verstorbenen zum Gegenstand des Profits und Geschäftes, zum Mittelpunkt der Sensationslust und des wohligen Gruselns machen.

Bis gestern abend haben in Köln über 130.000 Menschen, oft ganze Schulklassen, eine Ausstellung besucht, die nichts anderes als eine solche Mischung aus Geschäft und Sensationsgier, gewürzt mit einer Prise Horror, ist. „Körperwelten“ nennt sich die Ausstellung.

Was dort ausgestellt wird, sind Leichen. Tote Menschen. Ein Bad in einer chemischen Substanz entzieht dem toten Körper das Fett und die Flüssigkeit und ersetzt sie durch einen Kunststoff. Heraus kommt ein sogenanntes „Plastinat“ - das sind 70% Kunststoff verbunden mit dem, was von einem menschlichen Körper nach dem chemischen Bad noch übriggeblieben ist.

Das Ganze ist anschaulich, geruchsneutral und von solcher Beschaffenheit, dass man es dann noch in Scheiben schneiden kann. So wird es transparent. Man kann den Körper auch auffächern, wie ein Schubladenschränkchen. Oder man zieht einem Verstorbenen die Haut ab, die er dann im Tode vor sich her trägt. Und eine Schwangere etwa bietet sich und den Embryo in ihrem Bauch für einen Querschnitt an, damit auch das ungeborene und ungelebte Leben vor sensationslüsternen Blicken nicht verborgen bleiben muss.
„Körperwelten - die Faszination des echten“ - so lautet der Werbespruch. Vor vier Wochen wurde die Ausstellung eröffnet. Die Veranstalter rechnen mit einer Million Besuchern - und das dürfte nicht zu hoch gegriffen sein. 1997 waren die "Körperwelten" in Mannheim zu sehen und dort mußte man am Ende die Pforten rund um die Uhr geöffnet halten, um dem Besucherandrang überhaupt noch Herr werden zu können.

Die Austellungsmacher haben selbst eine Umfrage veröffentlicht unter ihren Besuchern. 75% sagen, sie kämen aus Neugier oder weil es weit und breit kein solches Spektakel zu sehen gäbe. Stadt Köln und die landeseigene NRW-Stiftung organisieren den Rummel mit. Man verspricht sich in Köln Millionenumsätze in der Gastronomie rund herum.

Warum ich das so ausführlich anspreche? Auch Detmolder Schulen fahren dort hin. Detmolder Lehrer empfinden diese Zurschaustellung präparierter Leichen als Bereicherung des naturwissenschaftlichen Unterrichts.

Während ganz Deutschland völlig zu Recht erschrocken ist über das Europäische Patentamt, dass angeblich irrtümlich ein Patent auf menschliche Gene erteilt hat, wird Schülern und Ausstellungsbesuchern hier gleich zu Hunderttausenden vorgeführt, dass es einen Respekt vor dem Menschen, eine Achtung vor der Würde des Ebenbildes Gottes, in der Zeit des unbegrenzten Geschäftemachens kaum noch gibt.

Um auch das deutlich zu sagen: Diese Ausstellung hat absolut nichts zu tun mit unbedingt notwendiger medizinischer Anatomie. Es ist wichtig und sehr zu respektieren, dass Menschen ihre sterblichen Überreste nach ihrem Tod der Ausbildung junger Mediziner und der medizinischen Forschung überlassen. Ich weiß, wie sehr dort auf die Würde der Verstorbenen Wert gelegt wird. Ohne diese Anatomie könnten Ärzte nicht für ihren Dienst am Menschen ausgebildet werden.

Aber was ist das für ein Unterschied - denn in Köln geht es um den wohligen Schauer, das Gruseln, wenn man durch Hunderte echter Leichen geht.

Die Verstorbenen haben, so sagt der Ausstellungsmacher, der Verwendung ihrer Körper für die medizinische Anatomie zugestimmt. Ansonsten nimmt das Institut dieses Mannes auch „herrenlose Leichen von Behörden ..., z.B. vom Sozialamt“.

Endet die Würde im Tod dort, wo es keine Angehörigen mehr gibt? Wo nicht Freunde oder Verwandte auf die gebotene Achtung vor dem achten, was Teil eines Geschöpfes Gottes war?

Noch menschenfeindlicher wird diese Ausstellung, wenn es um Menschen mit Behinderungen geht. In der Ausstellung können - ich zitiere noch aus den Unterlagen des Instituts für Plastination - „auch Präparate wie ein plastiniertes Wasserkopf-Baby gezeigt werden. Solche Missbildungen werden heute durch die Fortschritte der Medizin nicht mehr ausgetragen.“ Zitat Ende.

Zu Deutsch: Man sieht es als einen Fortschritt der Medizin an, wenn ein behindertes Kind heute nicht mehr ausgetragen wird, sondern statt dessen abgetrieben wird. Es gab Zeiten, da bezeichnete man in unserem Land behinderte Menschen als „lebensunwertes Leben". Und diese Zeiten sind offensichtlich doch nicht vorbei - auch wenn das Wort "lebensunwert" nicht fällt, sondern nur der Sache nach einem gottgegebenem Leben dieser menschenverachtenden Stempel aufgedrückt wird.

„Herrenlos“ sind wir nicht, so wenig, wie wir vor Gott und den Menschen würdelos sind. Beim Propheten Jesaja im 43. Kapitel heißt es:

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!


Wo dieses biblische Wissen so sehr mit Füßen getreten wird, da ist der Einspruch der Christen nötig. Evangelische und katholische Kirche haben das in Köln sehr deutlich gemacht. Es geht hier um den Kern des menschlichen Zusammenlebens. Wo der Mensch beliebig ausgeschlachtet werden darf, da hört Menschenwürde und Menschenrecht sehr bald auch bei den Lebenden auf.

Im Weg Jesu zur Kreuzigung wird uns wieder und wieder vor Augen geführt, was menschliche Brutalität und Missachtung Gottes bedeuten können. Weil wir aber wissen, dass hinter dem Kreuz nicht der Abgrund ewigen Dunkels wartet, sondern dass Kreuz und Auferstehung, dass der Tod in Jesus Christus zum Leben wird, darum wissen wir, dass am Ende der Mensch wieder Gottes Ebenbild sein wird. Am Ende steht das Leben, am Ende lebt Gott in uns allen.


Predigt im März 2000, Martin-Luther-Kirche Detmold

Dipl.theol. Hans Immanuel Herbers

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